
Eine Woche ist es erst her, dass ich wieder in Deutschland bin. Eine Woche, in der ich schon wieder mein ganzes Leben auf den Kopf stelle. Wer hätte gedacht, dass nach Hause kommen, so viel Wunderbares bringt und genau so spannend sein kann wie wegzugehen. Mir ist ein Satz im Ohr, den mir mein Ex Mann Robert einmal mit auf den Weg gegeben hat - you have to leave to be able to return. Damals dachte ich - so ein vollkommener Blödsinn, kann auch nur ein Amerikaner sagen, ja damals dachte ich noch solche Gedanken 15 Jahre Altersunterschied machten sich eben doch bemerkbar auch wenn ich das mit Mitte 20 nicht einsehen wollte. Verstehen kann ich das erst heute richtig. Wie Gardel in seinem wunderbaren Tango Volver formuliert - der Reisende, der flieht, wird eines Tages anhalten und bleiben. Was hatte ich für eine Sorge, was mir alles fehlen würde, wenn ich meine Argentinier wieder verlasse, mein Buenos Aires, das ich ins Herz geschlossen habe - für immer. Die wunderbaren Lehrer im Sprach- und Kulturzentrum VOS - vor allem Pancho, unser Kursleiter ein Schriftsteller, den es gilt im Auge zu behalten, Natan mein Tanzlehrer - ein Sonnenschein, meine herzlichen Kollegen bei Telmark, Mario den ewig schlecht gelaunten Portier, Kristin, die unendlich Begeisterte, die ihren Traum lebt in Buenos Aires und mir auf dem Flohmarkt vollkommen süchtig nach allem was Tango ist Gardel Noten entriss. Ich mache bald noch einen Eintrag mit Bildern von all den wunderbaren Menschen, denen ich in Buenos Aires begegnet bin. Doch heute bin ich hier. In Fürth, Bayern.

Südstadt Park - hier wohne ich vorübergehend. 5 Gehminuten von hier befindet sich die Tanzerei.
Es gibt Tango Argentino! Ja in Fürth, hier ums Eck! Die Tänzer, Tänzerinnen und die Organisatoren sind herzlich und ich fühle mich sofort wohl. Dabei war ich so nervös, weil die Europäer in Buenos Aires erzählt hatten, in Europa sei alles ganz anders und steif und verklemmt und geschlossen. Kein bißchen. Ach dann bist du "die Argentinierin" von der uns der Barmann schon erzählt hat. Ich muss lachen, ja ich war am Nachmittag dort, um ein bisschen zu erforschen, wie es wohl zugeht, auf einer Milonga in Deutschland. Wie lustig ist das, in Buenos Aires bin ich einfach los und habe keinen Gedanken verschwendet und kaum zu hause verhalte ich mich gleich wieder planerisch, kontrolliert deutsch. Eine interessante Entdeckung. Ich werde kurz begutachtet und sofort an den Tisch der Organisatoren Klaus und Claudia eingeladen sie habe etwas wunderbar Integrierendes - und das ist ebenso, wenn man eine Leidenschaft teilt. Und das alles in Franken! Begeisterung. Wie gut, dass ich mutig genug war, die roten Schuhe anzuziehen.
http://www.flabella.com
Mein letzter Kauf in Buenos Aires waren rote Flabella Tanzschuhe, ich wollte mich eigentlich nur von Kristin verabschieden, sie war noch Schuhe kaufen und so trafen wir uns in Suipacha bei Flabella. Suipacha, in der Strasse fing ich auch an am 11.Dezember 2011 an, als ich noch in einem Hotelzimmer wohnte mit Blick auf eine Betonwand wie so oft in dieser Stadt. Kristin war noch mitten in der Anprobe.
Eher um mir die Zeit zu vertreiben, fragte ich nach 41. Diese Größe ist in Buenos Aires nicht so einfach und so war ich völlig ohne Erwartung und dachte eher - was machst du eigentlich, falls es welche gibt, deine Koffer sind doch schon gepackt und ich wüßte nicht, dass da noch Platz drin ist. "Aber für Tangoschuhe ist doch immer Platz" grinste Kristin und ich dachte, Frau, du wirst mir fehlen, du und deine Begeisterung, denn ich gehe zurück ins Land der unterdrückten Lebenslust. Was denkst du da schimpfe ich mit mir selbst, daheim hat sich auch viel getan und ausserdem wird es dort jetzt Frühling, da geht es den Gemütern besser. Que bien yo tengo suerte - tatsächlich gab es 2 einzelne Paare. Wow, 2 gleich! Ich blicke etwas neidisch auf die ca 10 Kartons rings um Kristin sie ist zierlich und hat ca 38. Nein leider kein plata (silber), beige (oh, nein danke!) und rot (ah, ja, bitte). Wie angegossen, die Sohle ein Traum für Ochos und Giros, das merke ich selbst beim Üben auf dem alten Teppich. Fast hätte ich sie nicht gekauft, obwohl sie "nur" 390 Pesos waren, ich dachte, wann willst du die schon anziehen....überall auf der Welt eben denke ich heute Abend während Claudia eine Tango Walzer Tanda - in fränkischem Akzent ansagt.
Ach wie schön, wie in Buenos Aires, mit Cortinas und Tandas es ist mir ganz vertraut. Klaus fordert mich zum Tanzen auf und ich bin sehr nervös, es legt sich etwas und ich weiss ich muss noch viel viel viel Tanzen, um das gut zu können. Wie wunderbar, so wird er mir ganz lange bleiben, der Tango. Noch keine Woche schon die ersten netten Kontakte in die lokale Tanzszene. Nach knapp zwei Stunden muss ich gehen, meine Körper schimpft mit mir - ich bekomme schlecht Luft, bin schlapp und da tanzt es sich nicht so gut. Komm doch zum Tango Frühschoppen - morgen, sagt Klaus. Tango Frühschoppen! Ach auch das gibt es und das alles in Fürth. Mir hallen die Worten meiner klugen Mutter im Ohr, das Leben ist immer und überall, man muss nur raus gehen. In 2 Wochen bin ich in Amsterdam auf einem Coaching Workshop und treffe die wunderbare Nancy Spicer zu unserem ersten Workshop Design als Co-Leaders. Ahhhh. Und fürs Abendprogramm - die Milonga Szene in Amsterdam sieht sehr einladend aus. Bailamos chicos y chicas!

So gehe ich heute morgen auch als Erstes raus, auf dem Weg zum Bäcker stolpere ich über die Laufveranstaltung. "Ich kann laufen so wie du und ich laufe auf dich zu" - so heißt es auf der Website der Veranstalterin Anita Kinle.
http://www.kinleanita.de/. Klasse, was die Frau und all die Ehrenamtlichen hier auf die Beine gestellt haben. Ritter, Schlümpfe, Jongleure und Clowns, Einzelne, Staffeln der bunte Regenbogen an Lebensfreude läuft an der grünen Halle los - Menschen mit Down Syndrom stehen im Mittelpunkt. Mir zuckt es in den Fingern. Ich will hier was machen, mitlaufen? Ja - auch das und mit der fetten Erkältung geht da gar nichts. Dann weiß ich, was mich juckt, wie gerne würde ich rumlaufen und meine tausend Fragen stellen und sagen ich bin Journalistin und schreibe für.... überhaupt spüre ich, da ist er wieder mein Kindheitstraum. Vielleicht liegt es an der Umgebung denke ich und freu mich so sehr über diese Regungen. Lebendig.

Hinschauen, mit Hingabe beobachten so wie dieser Fotograf - Stimmungen auffangen und sie festhalten für die, die nicht dabei sind. Inspirieren und anregen, einladen nachzudenken, mit anderen Augen sehen, dabei sein, LEBEN - entwerfen, entwickeln, Perspektiven aufzeigen - verändern. Das ist meine Leidenschaft. Und wieder die Kamera nicht dabei, also hält das schöne neue weiße iphone her - mein altes macht ja offensichtlich einen Porteno glücklich. Ich fange diese wunder-baren Minuten ein, bevor der Startschuss fällt, die Samba Trommeln, die die Läufer begleiten und den Gospel Chor der ihnen zu singt. Beim Chor bleibe ich hängen. "Wer sind die?" frage ich den Tontechniker, das Lied geht mir ins Herz, "he will raise you" - Red'n'Blue aus Sankt Martin. Sankt Martin, klar - das ist ja meine Gemeinde. Ich bin noch in der Kirche. "Den lieben Gott, den gibt es nicht" der Satz und die schöne Stimme ist mir plötzlich im Ohr, das sagte kürzlich ein Arzt zu mir und es klang desillusioniert und ganz nüchtern. Wir Deutschen halten Desillusion und Nüchternheit oft für wichtig, fast erstrebenswert. Wir glauben, wir brauchen das, damit wir zurecht kommen in diesem "so komplizierten und schwierigen Leben". Oscar Wilde sagte ja "life is too important to be taken seriously", den Satz mag ich und die Latinos sehen Reichtum und Möglichkeit in der Illusion.
La ilusión übersetzt sich ja dann auch mit "Freude" ins Deutsche. Na ja und ignorance is bliss werden meine kritischeren Leser jetzt denken - ich weiß schon. Die Nobelpreis gekrönten Literaten des südamerikanischen Kontinents spielen auf jeden Fall allesamt mit "la ilusión" und haben so eine ganz neue Literaturrichtung begründet. Und das mit dem lieben Gott - mein Verstand weiß das nicht sicher, so oder so, und auf den allein (den Verstand) ist aber nicht immer Verlass. Im Herzen glaube ich ans Universum - felsenfest. Dazu gibt es eine ganz wunderbare Geschichte, die ich ein anderes Mal aufschreibe. Sie ist vor zwei Wochen passiert, spielt im Katalanien, in einem kleinen Bergdorf in der Nähe von Sitges und hat mit dem 86-jährige Dorfpfarrer Vater Ramon und unserem gemeinsamen Singen zu tun. Was für eine Begegnung. Der Bogen zurück - Sankt Martin - ich muss lächeln, dort habe ich konfirmiert. Mein Blick wandert zur Musikschule Fürth, ach genau, der Wellness Chor, ob es den noch gibt? Da hab ich so gerne gesungen - oh ja - dringend Joan und Christina anrufen jetzt wo ich wieder hier bin und fragen, was los ist in der Szene in Fürth. Alles hier - was mir wichtig ist, wie immer und überall, denke ich. Zur Zeit eben in der Südstadt - was war die schmuddelig - so weit weg vom Zentrum und abgegrenzt durch die Kasernen - das war mein Blickwinkel. Früher, als ich hier aufgewachsen und zur Kiderlinschule gegangen bin. Heute empfinde ich sie als lebhaft und lebendig und voller Möglichkeiten, die Südstadt - und ich bin zuhause.
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